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Ich habe schon lange gewusst, dass es ihn gibt. Ich hätte aber nie geglaubt, dass ich jemals dort am Start stehen werde. Der MUM, bekannt als härtester Etappen-Ultralauf in Tschechien (gleichzeitig tschechische Meisterschaften im Etappen Ultra Marathon):

 

  

„Das ist verrückt! Wie kann man nur stundenlang im Kreis laufen, für 100 Kilometer oder 24 oder 48 Stunden! Ihr seid doch alle irgendwo ang’rennt!“ Es war der 12. Juni 2015, ich saß in der Meierei im Wiener Prater mit Ultraläufer Andreas Rosenbichler und seiner Frau Anita beim Abendessen. Er erzählte mir, dass er in wenigen Stunden zu den 100 km von Wien antreten werde, ich beschimpfte ihn, was für ein Trottel er doch sei. Rückblickend muss ich gestehen, dass ich mich nicht beschweren hätte dürfen, wenn er mir die eine oder andere Ohrfeige verpasst hätte. Fünf Jahre und ein paar Wochen später sitze ich in einem Gartensessel und kann mich fast nicht bewegen. Hinter mir liegen 24 Stunden, in denen ich 160,64 km zurückgelegt habe, mit einer Pace von 8:55 min/km, hinter mir liegen aber vor allem Erfahrungen, die ich einerseits machen wollte und vor denen ich mich andererseits fürchtete.

*

„Schade, dass uns einige Leute ausfallen“, hatte Erwin Ostry Ende Juni einmal fallen lassen, „wir bräuchten noch den einen oder anderen für die Teamwertung der österreichischen Meisterschaft“, und blickte mich an. „Als Back-up kann ich’s mir schon vorstellen“, antwortete ich, „aber das wird mein erster Rundenlauf, erwarte dir nicht zuviel.“ So schnell konnte ich nicht schauen, so schnell war ich gemeldet. Das steirische Bad Blumau ist bekannt für die Thermen, ist ein aufgeräumter, sauberer Ort, besitzt eine Bahnhofsstraße (aber der Bahnhof liegt an der Blumauer Straße) und Sportbegeisterte, die in diesem Jahr zum zweiten Mal Ultra-Rundenläufe veranstalteten. Der 24-Stunden-Wettbewerb zählte als Österreichische Meisterschaft, vielleicht komme ich mit einer Mannschafts-Medaille zurück, sinnierte ich.

Doch das Ziel war fern, und fast beunruhigend bäumte sich der Start vor mir auf. Wie soll ich einen Tag auf einer 1181 m kurzen Runde mental überstehen? Einen Ultratrail filetiere ich in für den Kopf verdauliche Portionen: bis zur nächsten Labe, bis zum höchsten Punkt, bis zum Dropbag. Aber einen Rundenlauf habe ich noch nie gemacht. Was also tun? Ich entschied, die Zeit zu stückeln. Alle drei Stunden wollte ich das Lauftrikot wechseln.

10 bis 13 Uhr. Im Zeichen des ULT Heustadlwasser

Der Startschuss fällt um zehn Uhr, und ich trabe mit Erwin los. Kilometerzeiten um die sieben Minuten sind angedacht für die ersten Stunden, diese Vorgabe lässt sich gut erfüllen, auch wenn es immer heißer wird. Auf der Strecke ist einiges los, es sind auch noch Marathonläufer und –läuferinnen unterwegs, die ihre Übung bereits um 8 Uhr begonnen haben. Irgendwann ist Erwin dann weg, und ich ziehe allein meine Runden: vom Start rechts abbiegend in den Sportplatzweg, durch das große und durchgehend bestens ausgestattete Verpflegungszelt, dann nach rechts in die Bahnhofsstraße, über die Brücke, unter der die Safen fließt, wieder rechts in die Hauptstraße, vorbei u. a. am Hotel Thermenoase, dem Tourismusverband, dem „Platz der Visionäre“, ehe es beim Gästehaus Gradwohl rechts fallend „trailig“ 20, 30 m hinunter an die Safen geht. Wieder laufe ich über einen Steg auf die andere Bachseite, auf Schotter vorbei an den ULT-Verpflegungszelten Richtung Start.

Neben Erwin und mir sind auch Josef Stöger und Martin Kubele dabei, und unsere beiden ULT-Neuzugänge Heinz Schaludek und Andreas Michalitz. Die Runde ist zwar kurz, und man begegnet sich da und dort, doch eigentlich fehlt mir bald der Überblick, wer wo ist. Aber egal – jeder läuft sein eigenes Tempo.

13 bis 16 Uhr. Der weiße Äthiopier

Schon beim ersten Trikotwechsel merke ich, wie dieses kleine äußerliche Zeichen große Wirkung auf meinen Geist hat. Das Laufshirt habe ich 2018 in Äthiopien erstanden, in Bad Blumau beschäftige ich mich eine Stunde lang mit den Erlebnissen von damals. Die Zeit scheint zu verfliegen, achtsam bin ich, dass ich meine Ernährung nicht vernachlässige. Stündlich gibt es ein Gel, alle zwei, drei Stunden Cookies mit viel Schokolade und Erdnussbutter, köstlich zubereitet von meiner Frau, zuweilen eine Melonenschnitte, zwei Marsriegel. Soviel zum Essen während 24 Stunden, getrunken wird Wasser, Iso, Cola, und „gegen Ende“, also während der letzten zehn Stunden, drei halbe Becher alkoholfreies Bier und ein Red Bull (sugar free). Anderen geht es wetterbedingt und ernährungstechnisch leider nicht ganz so gut. Martin Kubele ist schon etwas lädiert angetreten. Erwin kann laufen und kotzen, aber nicht trinken. Die Temperaturen bewegen sich zwar nach unten, doch es hat immer noch weit über 20 Grad, und das weiß jeder: Wenn der Körper dehydriert, geht bald nicht mehr viel.

16 bis 19 Uhr. Stelviomarathon

Nach sechs Stunden merke auch ich die Hitze und laufe in ein erstes Tief. Zwar trage ich das Shirt vom „Stelvio“ (und werde von einigen auch darauf angesprochen), doch ich denke an den Großglockner Ultra Trail – und daran, was ich damals alles falsch gemacht habe. Nämlich: alles. Beim GGUT wollte ich unter 24 Stunden bleiben und von diesem Ziel auch nicht ablassen, als ich schon mehr tot als lebendig war. Als ich das nächste Mal am ULT-Zelt vorbeikomme, sage ich Martin Wustinger, unserem Betreuer: „Ich wollte zwar die 180 km angreifen, aber das lasse ich bei diesen Bedingungen bleiben. 160 sollten es aber schon werden.“ Er nickt: „Gute Entscheidung.“ „Kannst du mir einen Plan machen?“, frage ich. „Ja, mach ich. Aber jetzt schau einmal, dass weiterkommst.“ So laufe ich ein Tempo, das mir behagt, rechne ein wenig im Kopf hin und her, wie viele Kilometer es denn sein sollen, addiere Runde für Runde. Ein paar Laufkollegen kenne ich, Andy Kapui, Peter Rabong beispielsweise, doch die Gespräche sind meist kurz und bündig, jeder ist ganz bei sich. Monika Tavernaro von den „Lauffreunden“ feuert mich regelmäßig an, „lass dich nur nicht abwerben“, meint Erwin später.

Kurz bevor die dritten drei Stunden zuende gehen, „ballere“ (ha ha) ich zwei Kilometern in 6:20, 6:30 Minuten. „Lass das“, ermahnt mich Martin.

19 bis 22 Uhr. Zermatt Gornergrat Ultramarathon

Immer wieder ziehen Läuferinnen und Läufer an mir vorbei, mit einer Geschwindigkeit, die vermuten lässt, dass diese sich bei einem anderen Rennen befinden. Bei den Frauen stellt Karin Augustin mit 218,81 km einen neuen österreichischen Rekord auf. Sie erinnert mich mit ihren Tattoos und pinkem Dress an die amerikanische Ultralauf-Heldin Catra Corbett, und ganz ehrlich, bei der ersten Überrundung habe ich fast geglaubt, dass sie es sei.

Es wird Nacht und es wird kühler, Martin macht an der Verpflegungsstelle einen herausragenden Job. Was immer ich benötige und in der Runde zuvor kommuniziere liegt aufbereitet da. Wahrscheinlich habe ich es leichter als er, denke ich mir. Ich bewege mich, bekomme was anderes zu sehen, bin unter Leuten. Martins Handlungsspielraum ist auf, sagen wir: 100 Quadratmeter beschränkt. Und auch wenn der Vergleich hinkt: So wie F-1-Piloten Experten in den Boxen benötigen, freue ich mich darüber, einen erfahrenen Ultraläufer im Kommandostand zu haben.

22 bis 1 Uhr. Stelviomarathon, nochmals

In der ersten Hälfte des Rennens kein Idiot sein, und in der zweiten kein Weichei. Mit dieser Maxime bin ich in den Lauf gestartet, zur Halbzeit freue ich mich, 50 % bereits richtig gemacht zu haben. Es läuft nicht schlecht, mit den üblichen Ups and Downs, mit der „Trailstrecke“, die tiefschwarz in der Nacht liegt und die ich gehe und nicht laufe. „Das ist eine tolle Veranstaltung, danke für all eure Bemühungen“, sage ich später den Organisatoren, „doch die Ecke dort drüben müsst ihr das nächste Mal besser ausleuchten.“

Die Kilometerzeiten bleiben in der Nacht, also zwischen Stunde 11 (21 Uhr) bis 18 (4 Uhr) akzeptabel: dass es zu weiteren Einbrüchen kommt ist zu erwarten, denn wie heißt es so schön? „Wenn es dir bei einem Ultra gut geht – mach dir keine Sorgen. Das geht vorbei.“ Gilt umgekehrt allerdings auch.

Seit 22 Uhr sind auch die 12-Stunden-Läufer und –Läuferinnen auf der Strecke, Rainer Predl benötigt für die Runde fünf Minuten oder weniger und saust immer wieder an mir vorbei. Bevor er seine Tätigkeit aufgenommen hat, haben wir noch gescherzt: Er könnte ja meinen Pacer machen. Klar, dass die Sache einen Haken hat. Denn Predl läuft mit 151,23 Kilometern neuen österreichischen Rekord. Ich benötige für diese Strecke in etwa doppelt so lang. Chapeau, also!

So gegen halb zwölf erreiche ich die 100-km-Marke. Doch es ist ein Zwischenstand, der mich nicht interessiert.

1 bis 4 Uhr. Ötschermarathon

Ich scheine gut im Plan zu liegen, die 160 km zu erreichen, doch die Nacht zehrt auch an mir. Ehe ich falle, gehe ich, sage ich mir, nur nichts riskieren, und der Wettbewerb ist noch lang. Ich höre, wie es den anderen ergeht, dass auch Mitfavoriten auf den Sieg der Hitzeschlacht Stunden zuvor ihren Tribut zollen und ungeplante Pausen einlegen müssen. Immer wieder stürmen Staffelläufer oder 12-Stunden-Läufer oder Rainer Predl an mir vorbei. Ist mir egal, ich mache einfach nur mein Ding. Musik unterhält mich und peitscht mich nach voran, bei Bon Jovi, Pink, Sunrise Avenue, “Bella ciao”, “Fratelli d’Italia” gröhle ich mit.

“Du musst bis vier Uhr 125 Kilometer gemacht haben, dann geht es sich gut aus”, sagt Martin. Als ich zum nächsten Trikotwechsel komme, halte ich bei rund 1500 m Vorsprung auf diese Vorgabe.  

4 bis 7 Uhr. Early Bird

Beim FIS-Kongress 2018 in Griechenland bewarb sich Trondheim für die Nordische WM 2023 und organisierte jeden Morgen gegen 5 Uhr einen Trainingslauf. Daran muss ich denken, als ich mir “Early Bird” überstreife. Für einen Moment ist mir, als wäre ich auf dem Peloponnes, und als ob die Runde nicht durch die Ortschaft, sondern über einen Golfplatz führt. Nein, Halluzinationen machen sich keine breit bei mir, dafür bin ich zu sehr im Hier und Jetzt. Doch zuweilen, auch nach 20 Stunden noch, kommt mir vor, als würde ich nicht laufen, sondern schweben - so, als würde nicht ich mich vorwärts bewegen, sondern als würde sich die Straße unter mir im Kreis drehen.   

“Lauf einfach dein Tempo weiter”, sagt mir Martin, als er mir beim nächsten Zwischenstopp Cookies und Iso reicht. “Du hast genug Zeit, um sieben solltest du bei 140 km stehen.” Die Vorgabe erfülle ich, doch seit die Sonne aufgeht, wird es - erraten - wieder wärmer, sehr schnell sogar heiß.   

7 bis 10 Uhr. Im Namen des ULT Heustadlwasser

Es bleiben 17, 18 Kilometer zu absolvieren, um die 160 km zu erreichen. Die vorgegebene Zeit: knappe drei Stunden. Zehen am linken Fuß hat Martin getaped, rechts spüre ich auch schon die eine oder andere Blase, zuweilen balle ich mein Gesicht zu einer Faust. ... und in der zweiten Hälfte kein Weichei sein, denke ich mir dann.

Je näher das Ende kommt, umso nervöser werde ich. Geht sich das wirklich, wirklich aus? Heinz Schaludek und Andreas Michalits, zuerst der eine, dann der andere, laufen an mir vorbei und beide Stars fragen mich, ob ich die 160 km erreichen werde, dann würden wir auch in die Teamwertung kommen. Beide Male antworte ich überzeugt mit Ja, es macht mir keinen Druck - den mache ich mir selber genug -, es ist dennoch ein Commitment, das ich Klubkollegen gegenüber gerne abgebe.

Es fehlen 11 Kilometer, ich habe etwas über zwei Stunden Zeit, als mich Erwin fragt, ob er mich die letzten Runden begleiten soll. Ich könnte ihm um den Hals fallen, dankbar nehme ich dieses Angebot an. Es tut mir gut, einen an meiner Seite zu haben, der einen Blick auf die Uhr hat, der mich beruhigt und unterhält und mir zu verstehen gibt, dass alles gut werden wird.

12 Minuten 15 Sekunden vor Ablauf der 24-Stunden-Frist springt die elektronische Anzeige im Startbereich um und zeigt an: Egon Theiner, 160,64. Eine Runde ginge sich eventuell noch aus, doch auf diese kann ich verzichten. Ich habe mein persönliches Ziel erreicht, und ich habe abgeliefert, was das Team sich erwartet hat.

*

Vielleicht fehlt mir der Zieleinlauf, vielleicht fehlt mir die Sirene, die das Ende der 24 Stunden verkündet und bei dessen Klang alle Teilnehmer zwecks genauer Vermessung der gelaufenen Meter auf der letzten Runde dort stehen bleiben sollen, wo sich sich gerade befinden. Vielleicht ist die Sportanlage von Bad Blumau visuell unattraktiver als der Ausblick am Gornergrat oder vom Stilfserjoch - große emotionale Gefühle bleiben bei mir jedenfalls aus. Ich verspüre Zufriedenheit und Stolz, Dankbarkeit und Demut. Ich weiß, dass ich diese Leistung ohne Erwin (der auch organisatorisch im Vorfeld der Veranstaltung sehr viel gemacht hat) und Martin nicht erreicht hätte, ich weiß, wie viel Kraft mir jedes lobende Wort von Vereinskollegen, Mit-Läufern, Zuschauern gegeben hat. Ich denke an Gerhard Schiemer, er schreibt die Trainingspläne, er bringt mich in Bereiche, in die ich alleine nicht vordringen würde. Und ich denke an Andreas Rosenbichler, der in Bad Blumau auch dabei war, sein Ziel bei diesem Lauf leider nicht erreicht hat, für mich aber immer ein Vorbild und auch Mentor bleiben wird.

Here comes the Knock Out

Und jetzt sitze ich da im Gartensessel und überlege seit 20 Minuten, wie ich aus diesem wieder hochkomme.

Als ich mich auf meine wackligen Beine stelle, haut es mich fast um. “Leg dich sofort nieder”, befiehlt Martin Wustinger. Bei der Siegerehrung bin ich also nicht dabei. Es gibt Medaillen für Josef Stöger (Gold in der M70) und Andreas Michalits (Dritter in der Masters-Klasse), da hätte ich gerne auch applaudiert, im Team werden wir indes Vierte. Die drittplatzierte LG Wien liegt deutlich, über 50 Kilometer, vor uns. Schade, aber egal. 

Und was könnte es Besseres geben, als beim ersten bestrittenen Rundenlauf auf (Team-)Platz vier zu landen? Schreit das nicht irgendwie nach Revanche?

Es passiert ja nicht so häufig, dass ein einziger Lauf ausreicht, um in gleich zwei Ergebnislisten aufzuscheinen. Corona und das neue Format der „Virtual Runs“ machen es möglich. Doch um es vorwegzunehmen: Aus meiner persönlichen Warte ersetzen diese Läufe nicht jene, die wir gewohnt sind, mit dem Flair der Startnummer, der Startlinie, der Zielankunft, der Gemeinsamkeit. Mit anderen zu laufen spornt an, sie sind Referenzpunkte, Motivatoren, Pacer. Aus diesen und anderen Gründen gibt es, hoffentlich, bald ein „back to normal“. Und ich denke, dass ich mit dieser Einstellung nicht alleine dastehe.

Am 13. Juni hätte die vierte Ausgabe des Stelviomarathons stattfinden sollen, er wurde, wie viele andere Events auch, abgesagt. „Kommst du dennoch und läufst den Virtual Run auf der Originalstrecke?“, hatte mich vor Wochen schon Peter Pfeifer, der Präsident des Organisationskomitees gefragt. Ich zögerte, erst nachdem meine Rückkehr nach Österreich ohne Restriktionen möglich war, sagte ich zu. Und ich entschied, ein „Stelvio Triple“ zu laufen: am Freitag den Jochlauf (26 km, 2100 Hm), am Samstag den Marathon (42 km – die letztlich 45 wurden -, 2500 Hm), und Sonntag die Short Distance (14,5 km, 1200 Hm).

Den Freitag hatte ich mehr schlecht als recht hinter mich gebracht  – wieder einmal aß ich zu wenig, und die Motivation litt aufgrund der wegen Schneeräumungen gesperrten Passstraße, womit das Erreichen der Jochhöhe verunmöglicht wurde. Für die Distanz benötigte ich über sechs Stunden, und einmal zurück zu Hause in Burgeis stopfte ich mich mit Nudeln voll.

Diese gab es auch in der Früh des nächsten Tages, drei Stunden vor dem Start des Marathons. Um 8 Uhr traf ich mich mit einigen anderen Läufern in Prad, doch nachdem der (reale) Virtual Run-Startschuss gefallen war, zogen die anderen wie von Taranteln gestochen weg, während ich eine gemächliche 6-Minuten-Pace einschlug. Ich dachte an Alexandra, mit der ich bei „Corona gegen Ultras“ ein 50-km-Team bildete und daran, wie sehr Laufen verbindet, wo immer man ist. Ich dachte an Anne, Walter und Josef und andere, die ebenfalls gegen Corona liefen und für den Stelviomarathon.

Mein Ziel war einerseits, eine Durchschnittspace von unter zehn Minuten zu erreichen, was ich mit 9:53 Minuten auch erreichte. Doch andererseits blieb ich mit 7:30:30 Stunden für 45,56 km über meinen Hoffnungen, das virtuelle Ziel, nun bei geräumter Straße auf dem Pass, in rund sieben Stunden zu erreichen. Die Zeit war letztlich vielleicht nicht das Wichtigste. Wichtiger war, ein paar Kilometer mit Dunja Pitscheider, einer Südtiroler Laufgöttin, unterwegs gewesen zu sein, die Natur oberhalb der Baumgrenze auf dem Goldseeweg inhaliert, mit Freiwilligen bei „Überraschungs“-Laben in Stilfs und bei der Furkelhütte geplaudert, auf dem Stilfserjoch die eine oder andere Träne der Erleichterung und Erinnerung verdrückt zu haben.

„Der Lauf war drei, vier Kilometer zu lang“, sagte ich Peter Pfeifer später. Dieser zuckte nur mit den Achseln. „Einen Bergmarathon kannst nie genau vermessen.“

Tag drei brachte den Berglauf von Trafoi auf das Stilfserjoch, wobei 45 Kehren bewältigt werden mussten. Für diese Übung hatte ich einen Pacer der Extraklasse gefunden – meinen zwölfjährigen Neffen Aaron, der zu den besten Ski-Langläufern seiner Altersklasse in Südtirol zählt und Berglauf-erfahren ist. Doch ich dachte mir: Sechs, sieben Kilometer werden wir laufen, und den Rest wandern. Wir starteten mit Kilometerzeiten zwischen neun und zehn Minuten und ich war mir sicher, dass es später langsamer würde. Das Gegenteil war der Fall, Aaron wurde schneller, je näher das Ziel kam. Ich bemühte mich, an ihm dranzubleiben, was mir auch deswegen gelang, weil der Junge Empathie für den Alten verspürte und mich nicht in Grund und Boden lief. Nach 2:10 Stunden und einer Durchschnitts-Pace von 9:01 Minuten/km waren wir auf dem Joch und klatschten zufrieden und glücklich ab.

90 Kilometer, rund 5600 Höhenmeter in 15:50 Stunden sind zumindest unter dem quantitativen Aspekt eine Ausbeute, mit der ich zufrieden bin. Da waren Licht und Schatten dabei, Momente des Verlaufens im Wald und des Lernens auf technischen Trails, Augenblicke der Depression und des Dopamins. Eben alles, was das (Trail-)Laufen so ausmacht.

Der Laufkalender 2021 ist für mich wie für viele andere bereits jetzt prall gefüllt. Der Stelviomarathon hat einen Fixplatz, und ich hoffe, dass viele meiner ULT-Vereinskollegen und –kolleginnen am 19. Juni kommenden Jahres mit mir an der Startlinie stehen werden. Jene, die bereits dort waren, können es bestätigen: Es zahlt sich auf alle Fälle aus!

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