Rückblickend kann man natürlich sagen, dass es vielleicht nicht die schlaueste Idee war. Aber wann ist ein Ultralauf schon eine schlaue Idee?! Besonders dann, wenn das Training in den letzten neun Monaten aufgrund von Verletzungen und beruflichen Verpflichtungen defizitär war?! Und warum überhaupt in Deutschland?!

Rückblickend kann, nein, muss man natürlich sagen, dass es sicher nicht die schlaueste Idee war.

Wahrscheinlich war es auch keine schlaue Idee, einen Seeweg nach Indien zu suchen und dabei Richtung Westen zu segeln, oder an der Südspitze Südamerikas eine Passage in den Pazifik zu finden. Oder die Glühbirne zum Leuchten bringen zu wollen, und so weiter. Die Menschheitsgeschichte ist voll von schlauen Ideen, die sich unsinnig anhörten und letzten Endes dann doch tatsächlich schlau waren - so eine Überraschung auch!

Wenn es um diese schlauen Ideen geht, bin ich in meinem Kleinen immer vorne mit dabei. Ich bin nicht Christoph Kolumbus, Ferdinand Magellan oder Thomas Alva Edison, doch in meiner Welt finde ich auch genügend Herausforderungen, bei denen man eigentlich abwinken müsste: wie eben bei diesem Königsforst Ultramarathon am 20. März nahe Köln, 63,3 Kilometer mit 630 Höhenmetern. Die Veranstaltung gehört zu den traditionsreichsten in Deutschland, sie wird zum 48. Mal ausgetragen, doch den Ultra gibt es erst zum zweiten Mal. Zu laufen sind drei Halbmarathons, das Streckenprofil verheißt zumindest für die letzte Runde nichts Gutes, denn es ist ein kontinuierliches Auf und Ab.

Aber na gut, von den schlauen Ideen haben wir schon gesprochen. Zwischen dem Wienrundumadum Anfang November und dem Königsforst Ultra in der zweiten Märzhälfte liegen viereinhalb Monate und vielleicht 200 Trainingskilometer. Weil das Essen in China mundete und auch in München schmeckt, ist der Bauch, ach, seien wir freundlich zu mir: das Bäuchlein, auf den offiziellen Bildern nicht zu übersehen.

Es geht also um 9.15 Uhr los, und es sind diese schönen Rollercoaster, die in den sozialen Medien als “gently rolling hills” bezeichnet werden, die das Laufen echt zu einer Freude machen. Die Strecke führt entweder bergauf oder bergab, doch die Steigungen sind durchwegs laufbar, und der Untergrund ist entweder Asphalt- oder Forststraße. Es ist ein Ultramarathon, aber kein Ultratrail. Mit meinen Kilometerzeiten bin ich sehr, sehr zufrieden, nach 21,1 km/210 Hm komme ich nach 2:04 Stunden das erste Mal bei Start und Ziel vorbei. Der Speaker prognostiziert mir eine Endzeit von sechs Stunden und ein Viertel, ich muss grinsen, als ich es höre: Da weiß ich doch mehr als du, denke ich mir schelmisch.

Nach der ersten Runde war die Welt noch in Ordnung

In der zweiten Runde geht es mir darum, möglichst lange eine Pace von 6:00 min/km zu halten, das gelingt mir bis Kilometer 37. Doch dann geht es rapide bergab, wohl auch deshalb, weil ich zu wenig esse und trinke (vier Gels und ein paar Bananenstücke in sieben Stunden sind fast Negativ-Rekord für mich) und weil sich klarerweise der Trainingsrückstand meldet. Nach 4:21 Stunden ist der Marathon mit 420 Hm geschafft, und zu diesem Zeitpunkt weiß ich bereits, dass die dritte Runde hauptsächlich eine Qual wird.

Ich hätte es sein lassen können. Aber bin ich der Typ dafür?! Ich hätte auch später auf der Strecke aufgeben können. Echt jetzt?!

Die anderen waren jünger und schlanker und schlauer

Die dritte Runde dauert eine Ewigkeit. Die “gently rolling hills” haben sich zu ausgewachsenen Bergen des Karakorum entwickelt, doch bis auf wenige Ausnahmen schaffe ich es, alle Steigungen zu laufen. Die Geraden auf Asphalt oder im Wald nehmen kein Ende, jeder Kilometer, so kommt es mir vor, ist mindestens 1800 m lang.

Als ich das Ziel erreiche, ist der Abbau im vollen Gange, doch das habe ich nicht anders erwartet. 2:47 Stunden hat meine letzte Schleife in Anspruch genommen, mit 7:05 Stunden bin ich zehn Minuten unter der offiziellen Zielschluss geblieben, ich werde Fünfter von hinten und bin dennoch stolz - denn von 92 gestarteten Ultras lassen es rund die Hälfte nach der ersten oder zweiten Runde bleiben. Ich nicht, ich habe es, wie gehofft und geplant, durchgezogen.

Geschafft ist geschafft: Freude im Ziel, wie nach jedem Ultra

Die Strecke ist schön, kommt aber sicherlich Tempobolzern entgegen, und die Schönheit nutzt sich ab der zweiten, dritten Runde ab. Sensationell ist die Organisation des TV Refrath runningteam: kaum einmal eine bessere gesehen. Rund 80 Personen haben für knapp 1000 Finisher (und auch für mich) ein unvergessliches Lauferlebnis geschaffen. Motivierend waren die Streckenposten auch noch nach Stunden langem Dienst, um Leute wie mich anzufeuern, freundlich die Frauen und Männer an den Labestationen - “dies hier ist die letzte, freu dich, die nächste ist im Ziel!” -, und überall gab es noch das gesamte Menü: Wasser, Iso, Cola oder Bier, Obst, Nüsse, Riegel oder Kuchen. Köln liegt von Wien aus gesehen nicht gerade ums Eck, doch dieser Event ist eine Reise wert - besonders 2024, wenn er sich zum 50. Mal jährt und die Ideenfindung und Planungen dafür bereits laufen.

In 24 Monaten ist es schlau, dort mit dabei zu sein. Und wenn ich dann besser trainiert wäre, dann wäre es sogar sehr schlau!

 

Webtipp: www.koenigsforst-marathon.de

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