Reschenseelauf und Stelvio Trail Run gehören zu den Highlights im Vinschgau und darüber hinaus. Endlich habe ich beide – back-to-back – bestritten.
Um es gleich vorwegzunehmen: 15 Kilometer flach um einen See herum (na gut, 100 Hm waren dabei) und 21 Kilometer bergauf mit 2100 Höhenmetern (offizielle Daten, die Sportuhr zeigte etwas weniger an) sind jetzt nicht die allergrößten Herausforderungen für alle hier, die regelmäßig laufen. Schon klar, jeder und jede setzt sich seine und ihre Ziele, und werden sie erreicht, freut man sich ein bisschen mehr, als dies ohnehin schon geschehen mag.
Besprechen wir auch gleich das Sportliche und haken es ab: 1:20 Stunden beim Reschenseelauf und 4:14 Stunden beim Stelvio Trail Run entsprachen in etwa meinen Erwartungen, damit war ich zufrieden und Trainer Gerhard Schiemer hoffentlich auch (wobei es aktuell eher unklar ist, auf was ich so hintrainiere).
Viel mehr möchte ich mehr Gedanken über die Veranstaltungen und deren Organisation verlieren, diese haben es beide in der Tat verdient.
Samstag, 12. Juli, 21.30 Uhr.
Im Tunnel in Graun – zwischen Reschenpass und Mals also – tummeln sich tausende Läufer:innen, die auf einen Nachtlauf geschickt werden. Der Reschenseelauf wurde in diesem Jahr zum 25. Mal ausgetragen, und immer dann, wenn ein Jubiläum ansteht, lassen sich Organisator Gerald Burger und sein Team besonders viele schöne Sachen einfallen – wie eine Trinkflasche und eine Stirnlampe, die es bei der Startnummernabholung gibt, wie eben der Start im Tunnel, für den die Strada Statale 40 für Stunden gesperrt werden muss, wie Fackeln, die zwar nicht die gesamten 15 Kilometer, aber die dunkelsten Teile von diesen ausleuchten (und davon gibt es in der Nacht viele). Es gibt gut ausgestattete Verpflegungsposten, freundliche Volunteers und begeisterungsfähige Zuschauer:innen, ein Finisher-Fresspaket und eine Medaille und einen großen Versorgungsstand, der von sehr, sehr, sehr vielen gestürmt wird.
Über 3500 Sportler und Sportlerinnen sind nämlich dabei, sogar der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher lässt sich dieses Volksfest nicht entgehen, und ich glaube zuerst einmal, dass es eben zu seiner Promotiontour gehört, er nach ein paar Metern oder Kilometern eher aussteigen und zum nächsten Termin eilen wird. „Der ist gut drauf“, sagt mein Schwager. Kompatscher ist nach 1:12 Stunden im Ziel, mein Schwager nach 1:18 Stunden. Der Sieger benötigt übrigens 47 Minuten, aber das ist eine andere Liga und eine andere Geschichte.
Wie auch immer, Kompatscher, mein Schwager und Tausende andere verstopfen zuweilen den Radweg, auf dem gelaufen wird, sehr oft bin ich nur im zick-zack-Modus unterwegs. Im Ziel denke ich mir, dass wahrscheinlich noch die eine oder andere Minute drinnen gewesen wäre, aber was soll’s.
Samstag, 19. Juli, 8 Uhr.
Zwischen Reschenseelauf und Stelvio Trail Run vergehen sechs Tage, 54,3 Kilometer, 2813 Höhenmeter, dann stehe ich an der Startlinie im Zentrum von Prad. Einige vom ULT werden sie kennen, an selber Stelle startete vor Corona-Zeiten auch der Stelvio Marathon, den es nicht mehr gibt. An seiner Statt trat 2021 der Stelvio Trail Run, der ohne die 21-km-Schleife im Tal auskommt und hochalpin nicht am Stilfserjoch sondern noch ein paar Höhenmeter weiter oben, auf der Dreisprachenspitze (2843 m) endet. Mit einem Fuß ist man in der Schweiz, mit einem in Südtirol, mit dem Blick in der Lombardei.
Ich gebe unumwunden zu, dass ich mich über Jahre hinweg geweigert habe, den Stelvio Trail Run zu bestreiten, weil er eben nicht (und nicht einmal ansatzweise) über die Serpentinen führt, die man mit „Stelvio“ verbindet und weil ich der Meinung war und bin, dass man auch anderswo schöne hochalpine Trails findet.
Die Freundschaft zu Mit-Organisatorin Katja Angerer und ihrem Team, die persönlich immer noch schmerzliche Erinnerung an die Furkelspitze, an der vor nunmehr 22 Jahren mein Vater in den Tod stürzte, das Wissen um Kompetenz und Freundlichkeit der Veranstalter gaben schließlich den Ausschlag, dass ich über meinen Schatten (und, ha ha, auf das Stilfserjoch) sprang.
Die Strecke von Prad bis zur Furkelhütte ist, sagen wir: okay, fein, fair, in Ordnung. Es sind so rund 13 Kilometer, die auf dem Weg nach oben eben gemacht werden müssen. Aber dann schlägt der Parcours quasi alles, was man schon gesehen hat. Der Ortler ist linker Hand immer im Blick. Die Trails sind hochalpin, steil und fordernd oder kupiert und laufbar. Der als Goldseeweg bekannte Pfad Nummer 20 schlängelt sich dem Bergrücken entlang, führt über Geröllfelder und Single-Trails, die Aufmerksamkeit verlangen (na ja, welcher Single-Trail tut das nicht?).
Bergretter und Sanitäter sind allerort zu sehen, im Ziel warten Katja und eine Finisher-Medaille. Ein T-Shirt und ein sehr gut gefülltes Goodie-Bag – mit Gutscheinen zur Pasta-Party und einer Liftfahrt zwischen Furkelhütte und Trafoi, mit einer Thermo-Trinkflasche, und so weiter - hat es schon bei der Startnummernabholung gegeben.
Ich laufe die Zeit, die ich mir in etwa vorgestellt und vorgenommen habe. Der Sieger war übrigens in 2:01 Stunden im Ziel, auch das ist eine andere Geschichte. Jedenfalls greife ich bei Äpfeln, Bananen und Melonen, Speck, Wurst und Käse, Nüssen, Wasser und Cola an der Verpflegungsstelle zu. Es sind rund 300, die teilgenommen haben, dementsprechend unaufgeregt ist es. Im Vergleich zum Reschenseelauf ist dies hier ein Familientreffen in den Bergen. Ich fülle die beiden Soft-Flasks, wechsle das T-Shirt und mache mich auf den Rückweg. 3:30 Stunden später stehe ich wieder im Start-Ziel-Bereich in Prad.
Selbstverständlich wäre es nicht notwendig gewesen, wieder hinunter zu laufen. Erstens transportieren die Veranstalter einen Kleidersack für jede:n Teilnehmer:in mit Wechselgewand ins Ziel. Zweitens ist es möglich, einen Platz im Shuttle zu buchen oder ein Fahrrad für den Weg zurück zur Verfügung gestellt zu bekommen. Drittens ist die Passstraße nicht gesperrt, man kann sich abholen lassen oder öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Da oben verhungern, verdursten oder erfrieren muss niemand.
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Es sind zwei Rennen, die überspitzt formuliert unterschiedlicher nicht sein könnten. Hier flach, dort steil. Hier ein Mega-Event, dort eine Grassroot-Veranstaltung. Hier der Teilnehmermäßig größte Lauf Südtirols, hier jener Lauf Südtirols mit der höchstgelegenen Zielankunft. Und dennoch haben sie beide gemein, auf was es wirklich ankommt. Perfekte Organisation. Freundlicher Austausch auf Augenhöhe. Laufwege und Trails, die zu den bekanntesten und schönsten in Südtirol gehören. Eine Atmosphäre, die Gänsehaut erzeugt.
Was weiß ich, was das nächste Jahr alles bringt oder nicht bringt. Aber würde ich mein „Vinschger Doppel“ wiederholen wollen? Na, auf alle Fälle!