Bei der „epischen“ Corsa della Bora 2024 war ich über die Halbmarathon-Distanz dabei, doch ich verspreche: Ich komme für die „ganze G’schicht“ wieder!
Triest – mit dem Namen dieser Stadt wird bei mir zuerst einmal tief in der Erinnerungskiste gewühlt.
In Triest war ich zum ersten bis (jetzt) letzten Mal 1988, vor 36 Jahren. Ich verbrachte dort die letzten freien Tage, ehe ich zu einem Jahr Militärdienst (bei den Carabinieri) eingezogen wurde. Triest, das ist für mich Edelmut und Stolz einer altösterreichischen Stadt, das ist Extravaganz und Nonchalance einer italienischen Realität, das ist Offenheit und Freundlichkeit eines Grenzgebiets. Slowenien ist einen Steinwurf entfernt. Dass mein Vater in diesem Eck, in Codroipo, in den 1950er Jahren als Funker einer Panzerdivision in der italienischen Armee diente, dass ich in den 1990er Jahren eine innige Beziehung zu einer Frau in Gonars hatte – tempi passati.
Seit Jahren kommt mir der „Sentiero Uno Corsa dell Bora“ immer wieder unter, seit Jahren denke ich, dass ich da dabei sein will, um Triest zu sehen, um auf tatsächlich schönen Trails des Karst zu laufen, angetrieben oder behindert von der „Bora“, den für diese Region typischen kalten, böigen Fallwind. „Die Corsa della Bora“ ist zudem ein Event, das nicht weh tut – die alte Saison ist schon vorbei, die neue hat noch gar nicht begonnen. Eh klar. Am Dreikönigswochenende finden weniger Trailevents statt als im Hochsommer. Und somit ist die Corsa in der italienischen Trail-Bubble eine echt große Nummer. Knapp 3000 Teilnehmer:innen haben sich für die diesjährigen Läufe eingeschrieben, berichtet wurde nicht nur in den lokalen Gazetten, sondern auch im italienischen Fernsehen. Und sogar die Nachrichtenagenturen nahmen sich der Veranstaltung an. Solch ein Interesse würde ich mir gerne auch in Österreich wünschen – doch die medialen Unterschiedlichkeiten machen eben einmal mehr deutlich, dass Trailrunning als Wettkampfsport hierzulande noch Aufholbedarf hat.
Trieste, mia bella, arrivo. Als ich in Udine in den Lokalzug Richtung Zielort umstieg, fühlte ich mich immer mehr in meiner Vergangenheit angekommen. Ich blickte aus dem Fenster, sah die Landschaft an mir vorbeiziehen und war jenes „Bambino nel Tempo“, das von Eros Ramazzotti besungen wird… Aus logistischen Gründen war ich nicht in Triest selbst untergebracht, sondern im rund 20 Minuten vorgelagerten Sistiana, doch selbstverständlich verbrachte ich den größten Teil des Freitags in der Stadt, sog die Eindrücke des Heute auf und verglich sie mit jenen des Gestern. Der Wettbewerb? Weit, weit weg.
In der Tat war ich für die 57 km gemeldet, den Klassiker aller „Bora“-Distanzen, doch eine langwierige Wadenverletzung machte mir zu schaffen und so war bereits bei der Anreise klar, dass es etwas Kürzeres (oder vielleicht gar nichts) würde. Ich meldete mich schließlich unproblematisch auf den Halbmarathon um (22,5 km, 400 Höhenmeter) und hoffe, diesen „norditalienischen RULT“ in unter drei Stunden zu bewältigen. Nicht nur die eigene körperliche Verfassung, auch das Wetter (es würde den gesamten Wettbewerbstag über stark regnen!) gab so einige Fragezeichen auf.
Als Finisher des UTLO 2019, eines Regenrennens erster Güte (siehe: https://www.ultralaufteam.at/index.php/laufberichte/ultralaeufe/132-2019-10-18-utlo-koerper-herz-verstand) bewunderte ich all jene, die sich auf die 82- und 57-km-Schleife begaben, und da waren einige dabei, die ich als sehr gute Freunde bezeichne: ULT-Vereinskollege Andre Kipper tat sich die längere Distanz an, Herbert Brunner und Athansios Michas (mit dem ich beim Spartathlon zwei Mal Diana Dzaviza betreuen durfte) waren ebenso wie Ultratrail-Debütant Alejandro Boucabeille oder Florian Böttcher von trailrunning-szene.at beim „Klassiker“ dabei. Julian und Reinhard Buchinger, Alexandra Dolezel, Fredl Zitzenbacher, Markus Schieder und viele anderen fand ich ebenfalls in den Startlisten.
Die Fahrt vom „Bora Village“ zum Start meines Rennens nach Prosecco (und wer jetzt an … Prosecco denkt: ja, richtig!) dauerte knapp 20 Minuten, dann ging es auch gleich los. Nach den ersten 400 Metern wären die Füße aufgrund von großen und tiefen Wasserlachen bereits nass gewesen, hätte ich nicht auf wasserdichte Socken gesetzt. Breitere Wege wechselten sich mit Single-Trails ab, zuweilen ging es auf Asphalt durch eine Ortschaft und an einer Stelle auch an landschaftlichen Relikten des Ersten Weltkriegs mit seinen Gräben und Mauern vorbei.
Langeweile war auf Pause gestellt in diesen 2:50 Stunden, die ich benötigte. Meistens war ich mit anderen unterwegs (462 Finisher, und ich in der ersten Hälfte auf Platz 210 – das passiert mir auch nicht allzu häufig), am allermeisten aber auf seifenglatten, rutschigen Downhills und kurzen, giftigen Anstiegen mit mir selbst beschäftigt. Durchnässt war ich nach einer halben Stunde, denn es schüttete ohne Unterlass. Dennoch lief ich kurz-kurz: Wegen drei Stunden zahlt es sich echt nicht aus, eine Regenjacke anzuziehen, spottete ich mit meinem inneren Ich. Immerhin war es nicht kalt, mit 10-12 Grad Celsius herrschten eigentlich ideale Lauf-Temperaturen. Nicht unwesentlich bei diesem kurzen Lauf: Die Wade hielt zuerst mehr recht, dann mehr schlecht, brachte mich aber ins Ziel in Portopiccolo – der „kleine Hafen“ liegt am Meer, und am Hügel, der hinauf nach Sistiana führt, sind Appartements zuhauf gebaut worden, die als Zweitwohnsitze oder Sommerresidenzen dienen. „Na schau, gar ned schlecht“, kommentierte Trainer-Freund Gerhard Schiemer meine Performance auf WhatsApp. Danke für dieses Lob!
„Es war ein Bora-Lauf, der eher ein Scirocco-Lauf war“, sagte mir Organisator Tommaso De Mottoni später, „die Corsa war angesichts des schlechten Wetters eine große Herausforderung für die Athleten, aber auch ein einzigartiger Erfolg für uns alle.“ Und er brauchte das Wort, das unter (uns) emotionalen Italienern dann gerne die Runde macht: „Das war episch! Wir sind jedenfalls bereit für die Ausgabe 2025, unserer Jubiläumsausgabe. Und wir hoffen, dass zur zehnten Auflage der warme Scirocco dann der Gastgeberin weichen wird: der kalten Bora.“
Für Triest. Für die Erinnerungen an Familie und Jugend. Für mich selbst und meine eigene Geschichte. Am 5. Januar 2025 will ich wieder dabei sein. Ich komme bereits jetzt ins Sinnieren. Wie kann man ein Rennen, das über rund 100 Kilometer durch wunderschöne Landschaften führt, und bei dem das richtige schöne, kalte, Bora-Wetter herrscht, anders beschreiben als: episch?!