Eine kleine Geschichte von einem Idioten und keinem Weichei 

 

Der Trebon Nature Marathon in Südböhmen, rund 170 km und 2:20 Stunden Autofahrt nördlich von Wien, stand eigentlich nicht auf meiner to-do-Liste, doch aufgrund gemachter Kontakte während der World Mountain and Trail Running Championships in Innsbruck-Stubai kam ich zu einer unerwarteten Einladung, und nachdem auch Coach Gerhard Schiemer keine Einwände hatte, war ich eben dabei – mit der Idee, einen engagierten langen Lauf zu absolvieren, nicht mehr und nicht weniger.

(Doch wir alle kennen das: Kaum, dass die Startnummer auf dem T-Shirt pickt, legt sich im Hirn ein Schalter um.)

Ich stehe also an der Startlinie mit ein paar hundert anderen, der Lauf ist einer der wichtigsten in Tschechien, sage mir im Geiste, dass das Ziel eine Durchschnittspace von 6:20 min/km sei, dass ich es nicht zu schnell angehen lassen solle, und zeige meinen Augen meine Hände, die das Zeichen für „langsam, langsam“ machen.

(Erster Kilometer: 5:50. Zweiter Kilometer: 5:44. Dritter Kilometer: 5:51. Vierter Kilometer 5:51. Fünfter Kilometer: 5:50).

Langsam, langsam – das wird überbewertet! Die Fahne des Pacemakers, der in vier Stunden im Ziel sein wird, ist nicht in Griff-, aber immer noch in Sehweite. Die Gruppe, in der ich laufe, ist engagiert bei der Sache. Der achte Kilometer ist mit 5:42 Minuten der schnellste meines gesamten Rennens, der zehnte mit 6:09 Minuten der erste, für den ich mehr als sechs Minuten benötige – und das auch nur, weil ich an der Labe das erste Gel zu mir nehme und zum Trinken einen Moment stehen bleibe.

Die Lauffreunde und –freundinnen, die hier mitlesen, denken es sich wohl bereits: Diese Geschichte wird nicht gut ausgehen…

Bei Kilometer 20 nehme ich das zweite Gel, den Halbmarathon absolviere ich in rund 2:05 Stunden, ich reflektiere, was ich bislang gemacht habe und mir fällt ein Satz ein, der nicht nur bei einem Ultra, sondern auch bei einem Marathon seine Gültigkeit haben wird: auf der ersten Hälfte des Rennens kein Idiot sein, und auf der zweiten kein Weichei.

Wir laufen auf asphaltierten Radwegen durch Wälder und an Seeufern, der Lauf hat seine schönen Seiten, das Wetter ist angenehm für diese Übung im Freien, doch meine Gedanken begeben sich in einen wolkenverhangenen Grübelkreislauf. Ich bin mir meiner Sache nicht mehr so sicher. Doch noch geht es mit Kilometerzeiten um 6:00 Minuten munter weiter, die 30 Kilometer schaffe ich mit Gel Nummer drei in 2:59 Stunden.

(Ja, ja, es ist eine rhetorische Frage: Warum auch die Strategie ändern, wenn das Werkl doch wie geschmiert weiterläuft?)

12.000 Meter vor dem Ziel ist es eine andere Realität, in der ich mich befinde, trotz alledem, was ich als Läufer weiß und noch am Vorabend (!!!) gelesen habe. Wenn Laufpapst Herbert Steffny schreibt, dass man nicht so schnell loslaufen möge, weil man die zuvor gewonnenen Sekunden danach als Minuten um die Ohren gehauen bekommt, dann hat er natürlich Recht.

(Aber ich weiß es ja immer noch besser. Oh, sorry, Tippfehler. Nicht besser.)

Die Kilometerzeiten beginnen von nun an mit einer „7“, und wenn es eine „hohe 6“ ist, dann bin ich schon zufrieden. Ein Idiot warst du schon, jetzt schau bitte, dass du nicht auch noch ein Weichei wirst, sage ich mir. Denn Ziel Nummer eins, den Marathon gut durchzulaufen, ist schon verfehlt. Ziel Nummer zwei ist eine Gesamtzeit unter 4:30 Stunden bzw. ein Schnitt von rund 6:20 min/km.

(Kilometer 38: 6:44. Kilometer 39: 7:01. Kilometer 40: 6:51. Kilometer 41: 7:16. Kilometer 42: 6:47.)

Ich quäle mich, ich rackere mich ab, ich will kein Weichei sein. In 4:28 Stunden, mit einem Schnitt von 6:18 min/km bin ich durch, mit einem Glas Sekt, das den Marathon-Finishern 100 m vor der Ziellinie überreicht wird. Die Stimmung ist gewaltig, Trebon hat 8500 Einwohner, und mir kommt vor, als wären an diesem Samstag, 14. Oktober, alle auf den Beinen.

Weil es sich dann doch noch ausgegangen ist, bin ich über die letzten fünf Kilometer fast glücklicher als über die ersten fünf.

Der Rest des Tages ist Selbstgeißelung und Fehleranalyse. Es ist nicht so, dass ich mich für den erfahrensten und routiniertesten aller Läufer halte, im Gegenteil, doch eine gewisse Expertise habe auch ich mir über die letzten Jahre angeeignet. Und nun komme ich mir vor wie ein Novize, der seinen ersten langen Lauf bestritten hat. Meine Strategie: negativ. Mein Ernährungskonzept: negativ. Verbesserungspotenzial: fast unendlich.

Es ist eben nicht empfehlenswert, einen Marathon quasi schon durstig zu beginnen. Und es ist fahrlässig zu glauben, mit vier Gels und ein bisschen Wasser durchzukommen. Bei den Laben auf den letzten 10 km griff ich deswegen zu fast allem, was da war. Was die Strategie betrifft: Ausdauersport birgt einen Hauch von Mathematik und noch mehr Menschenverstand in sich. Zeiten über gewisse Distanzen, die ich im Training nicht laufen kann, werde ich auch im Wettkampf nicht bewältigen. Also, was soll es bringen, mit einer Pace zu beginnen, von der ich weiß, dass ich sie nicht durchhalten kann?! Dass dies nicht funktionieren wird, dazu brauche ich nicht einmal mein Hirn, das sagt mir auch meine Milz.

24 Stunden später kann ich mit dem Geschehenen schon besser leben. Der Lauf war ja nur ein Mittel zum Zweck, meine Glückseligkeit hängt nicht von diesen Ereignissen ab. Trainer Schiemer ist mit den nüchternen Daten zufrieden, somit: das Positive mitnehmen in das weitere Training, und vom weniger Positiven lernen, um es das nächste Mal besser zu machen.

Das nächste Mal ist übrigens der Adventlauf unserer Freund:innen des ULT Tulln am 3. Dezember. Mal schauen, wie viel Idiot und wie viel Weichei ich dann sein werde.

 

Mehr Infos zum Trebon Natur Marathon: https://naturemarathon.cz/english/