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Der Ultratrail (GGUT) wird in diesem Jahr – richtig, Corona – nicht ausgetragen, dennoch fanden und finden sich im Sommer viele Trailläufer zwischen Kaprun, Kals und Heiligenblut ein, um Teile der Strecke abzulaufen. Nicht nur Etappen, sondern die ganze Runde hatten Herbert Brunner, Erwin Ostry, Richard Rainer und Egon Theiner im Blick. Doch ein Ultra ist ohnehin schon lang, der GGUT mit seinen rund 110 Kilometern und 6500 Höhenmetern besonders herausfordernd obendrein. Für eine solche Unternehmung muss schon alles passen, besonders dann, wenn Laben, Streckenposten, Bergretter fehlen. Autonom und unsupported lauteten die Schlagworte. Good luck, also!

Donnerstag, 23. Juli

Herbert, Erwin und Egon starten am frühen Nachmittag Richtung Kals, deponieren dort die Dropbags in der Frühstückspension Bergheimat und fahren weiter nach Kaprun, wo nächtens auch „Hausherr“ Richard eintrifft. Genächtigt wird bei Barbara Rainer im „Haus Rainer“, sie ist wie schon bei anderen Gelegenheiten zuvor unsere gute Seele und lässt ihre Gäste ganz daheim fühlen.

Freitag, 24. Juli

Die vier wollen es ja richtig machen. Start also um 22 Uhr, an genau jenem Tag und zu genau jener Uhrzeit, an der auch der GGUT 2020 gestartet wäre. Also heißt es ausschlafen, dösen, zuwarten. Erwin will die Glocknerrunde durchziehen, auch, um den Frust der Österreichischen Meisterschaft in Bad Blumau, wo es nicht so recht geklappt hat, zu verarbeiten. Egon hat mit dem GGUT eine Rechnung aus dem Vorjahr offen und fürchtet, erneut zu scheitern. Für Herbert ist es der erste Ultra, er ist positiv gestimmt, weiß aber nicht so recht, was ihn mental und körperlich erwartet. Richard ist vielleicht der gelassenste von allen, aber kein Wunder, er kennt diese Berge wie seine Westentasche. Heimvorteil ist immer ein Vorteil.

Das Wetter ist bescheiden, als sich die vier auf den Weg machen, und es soll nicht besser werden. Regen begleitet sie von Kaprun Richtung Mooserboden, die engen, in Felswände gehauenen Trails rund um die Straßentunnels sind nass und glitschig. „Gottlob sieht man nicht, wo’s da runter geht“, meint Herbert einmal, und Richard antwortet: „Du fällst halt in den Stausee, aber vorher wohl einige Male auf ein paar Felsen.“ Und der Griff um das Stahlsein wird von allen ein wenig fester.

Am Mooserboden ist zwar die erste Steilstufe genommen, doch nun bekommen es die drei Läufer des ULT Heustadlwasser – Herbert überlegt noch – mit Wasser, Wasser, Wasser zu tun, von oben (klar!), und von unten, weil fortwährend durch Pfützen gelaufen oder durch Wildbäche geschritten werden muss.

 

Samstag, 25. Juli

Noch vor Sonnenaufgang stehen die vier am Kapruner Törl, das Schneefeld wurde unproblematisch überwunden, der Regen lässt sogar ein wenig nach, doch die Herausforderung wird nicht geringer. Er nennt sich Nebel, der das Quartett in den Samstagmorgen hinein begleitet, doch Richard erweist sich als kongenialer Anführer durch Nacht und Nebel.

Auch die Nässe bleibt ein Gegner, sie macht technische Downhills auf dem Weg zur Rudolfshütte noch schwieriger, als sie ohnehin schon sind. Ein Stock von Erwin muss daran glauben, doch gottlob geschieht nichts Schlimmeres. Klar ist: Die vom GGUT vorgegebene und auch selbstgesteckte Zeitvorgabe von 30 Stunden ist schon auf der Rudolfshütte in Gefahr. Da beträgt der Vorsprung auf die imaginäre Cut-Off-Zeit nicht mal mehr 30 Minuten.

Ab dem Abstieg vom Kapruner Törl treten bei Erwin leider wieder die bis dahin vergessenen Schmerzen im rechten Knie und Oberschenkel auf. Besonders bei steileren, anspruchsvollen Downhillpassagen verspürt er immer wieder Schmerzen und muss das Tempo stark herausnehmen. Positiv indes, dass er während der gesamten Aktivität essen und trinken kann, was er will, ohne an den fast schon üblichen Magenschmerzen zu leiden.

Über die Kalser Tauern geht es technisch schwierig hinab ins Dorfertal, vorbei am Dorfersee und dem Kalser Tauernhaus. Und auch wenn Erwin und Egon ein wenig aufs Tempo drücken, so ist klar, dass sich die nächste Zielzeit (11.30 Uhr) nicht ausgehen wird. Herbert trifft des Weges Berndt Trappmaier, der an diesem Wochenende ein paar Tage in Osttirol verbringt, um 13 Uhr laufen alle vier in der „Bergheimat“ ein. Erledigt und erschöpft.

Samstag, 25. Juli, Nachmittag

So war es nicht geplant, doch bei einem Ultra sind Entscheidungen situationselastisch: Richard und Herbert fühlen sich zu müde und angegriffen, um weiterzumachen und brechen ab. Ihre Rückreise nach Kaprun wird zur Odyssee. Die Busfahrt von Kals nach Mittersill dauert rund dreieinhalb Stunden – und weil das Duo nach dem Umsteigen im falschen Fahrzeug sitzt (richtige Busnummer, aber verkehrte Richtung), organisieren die Busfahrer auf der Bundesstraße einen ungeplanten Stopp. Richard und Herbert stürmen aus dem einen Bus über die Straße hinein in den anderen. Sowas müsste man sich in Wien vorstellen… Einmal in Mittersill, werden die zwei von Richards Bruder Bernie nach Kaprun gebracht.

In der Zwischenzeit bewältigen Erwin (nunmehr mit Richards Stöcken) und Egon die nächsten tausend Höhenmeter Richtung Lucknerhaus und Lucknerhütte, doch einmal dort kann Erwin nicht mehr. Es macht keinen Sinn, weiterzugehen, wieder ins Hochalpine, ja, es wäre fahrlässig und gefährlich. Übernachtungsmöglichkeit auf der Hütte gibt es, was zu Essen auch, also ist von 18 Uhr bis 8 Uhr am Tag darauf Pause angesagt.

Sonntag, 26. Juli

Während Herbert und Richard in Kaprun auf Wetterbesserung warten, bringen Egon und Erwin die Pfortscharte, den Wiener Höhenweg und die Obere Stockerscharte gut hinter sich. Im technischen Abstieg Richtung Glocknerhaus bleibt Erwin an einem Stein hängen und stürzt mit der linken Kniescheibe auf einen spitzen Stein. Ist sie nun gebrochen oder lediglich schwer geprellt? Keine Ahnung, sie schmerzt sehr, doch nach einer Verarztung geht es jedenfalls weiter.

In der Zwischenzeit brechen auch Herbert und Richard Richtung Maiskogel zum Glocknerblick auf, doch wegen Nebels ist der höchste Berg Österreichs nicht zu sehen. Es geht weiter auf die Drei-Wallner-Höhe und zur Gedenktafel der Hexenverbrennung. Sie sehen Edelweiße, blicken auf das Wiesbachhorn und den Hohen Tenn. Und ballern einen knackigen Downhill runter zum Klamm-See. Um der Überhitzung entgegenzusteuern springen die beiden in den kalten Gletschersee - als Kneippkur quasi. Um 16 Uhr sind sie nach einem schönen und ereignisreichen Tag in der Natur im Quartier zurück.

 

Zu diesem Zeitpunkt haben Egon und Erwin die letzte der vier großen Erhebungen auf der GGUT-Strecke auch schon hinter sich gebracht, doch die Untere Pfandlscharte war im Auf- wie im Abstieg fordernd. Snowchains halfen auf den nassen, pappigen Schneefeldern nicht wirklich. Teilweise wichen sie auf das nebenliegende Geröll aus - und da rutschte ein großer Stein weg, auf den Erwin gestiegen war. Er landete auf dem Rücken, was auch nicht ganz schmerzlos war.

Doch nun befindet sich das Duo im Tal, in Ferleiten, der Weg ist noch lang, um die 30 Kilometer und über 1000 Höhenmeter warten noch, doch die hochalpinen Herausforderungen sind gemeistert. Der Weg nach Fusch ist nicht so leicht zu finden, weil der Track wenig vertrauenswürdig ist und hin- und herspringt. Und als ob es nicht gereicht hätte, laufen die zwei im Mittelgebirge oberhalb von Kaprun in einen starken Regenguss. Ihr Glück im Unglück: Blitz und Donner halten einige Kilometer Abstand.

Um 22 Uhr, genau 48 Stunden nach dem Start, stehen Erwin und Egon wieder im (virtuellen) Start-Ziel-Gelände des Großglockner Ultra Trail, und wenige Minuten später im Haus Rainer unter den Duschen. Ein paar Bier braucht es noch, um die Erlebnisse sacken und die Mühen abklingen zu lassen.

Montag, 27. Juli

Die Nacht ist lang, der Schlaf tief, und die Rückfahrt nach Wien stressfrei.

 

Ein Fazit, vier Mal

Egon
Schade, dass wir nicht zu viert die Runde komplettiert haben, und wenn Herbert und Richard gewusst hätten, wie sich die Sache weiter entwickelt, wären sie sicher mitgekommen. Doch wie schon oben beschrieben, bei einem Ultra ergeben sich Entscheidungen im Moment. Insgesamt betrachtet ist es mir sehr gut gegangen, ich bin glücklich und stolz, den GGUT in zwei Tagen abgelaufen zu sein. Das gibt Zuversicht und Hoffnung für kommende Aufgaben.

Erwin
Der GGUT ist ein Laufbewerb, bei dem es absolut wichtig ist, topfit zu sein. Ich war es nicht. Außerdem merkte ich immer wieder, wie viel Erfahrung mir fehlt, um diesen Wettbewerb in der vorgegebenen Zeit von 30 Stunden bewältigen zu können. Ich weiß, woran ich arbeiten muss. Und wer weiß, vielleicht bin ich eines Tages so weit, den GGUT zu finishen.

Herbert
Sich erstmals den Herausforderungen einer derartigen Tour zu stellen, sowohl körperlich als auch logistisch (Verpflegung, Sicherheitsausrüstung etc.), war für mich sehr spannend und aufregend. Viele Puzzlesteine aus den Wochen der Vorbereitung haben sich dann am Tag X zusammengefügt, und mich grundsätzlich bereit für die Tour an den Start gehen lassen. Ich möchte mich an der Stelle bei allen bedanken, die mich dabei unterstützt haben; allen voran natürlich Egon, Erwin und Richard, aber auch Gerhard Schiemer und Vroni Limberger, welche mich immer wieder sportlich unterstützen und inspirieren. Auch wenn Richard und ich die Tour nicht fertig gelaufen sind, blicke ich mit einem breiten Grinsen auf das Wochenende zurück. Für mich steht fest, dass ich die Tour sicherlich nochmals in Angriff nehme, aber dann geplant auf zwei Tage aufgeteilt, um das landschaftliche Erlebnis auch voll inhalieren zu können. Die Gegend ist einfach zu schön, um diese (beim nächtlichen Lauf) ungesehen an einem vorbei streifen zu lassen.

Richard
Schee woars, hoart woars. Mit den Worten eines Einheimischen: "Kleckhescht und Sausticki". Übersetzt: "Steinhart und extrem steil". Ich hatte auf weite Strecken eine verdammt gute Zeit. Keep on running. Life is good.

 

Ich habe schon lange gewusst, dass es ihn gibt. Ich hätte aber nie geglaubt, dass ich jemals dort am Start stehen werde. Der MUM, bekannt als härtester Etappen-Ultralauf in Tschechien (gleichzeitig tschechische Meisterschaften im Etappen Ultra Marathon):

 

  

„Das ist verrückt! Wie kann man nur stundenlang im Kreis laufen, für 100 Kilometer oder 24 oder 48 Stunden! Ihr seid doch alle irgendwo ang’rennt!“ Es war der 12. Juni 2015, ich saß in der Meierei im Wiener Prater mit Ultraläufer Andreas Rosenbichler und seiner Frau Anita beim Abendessen. Er erzählte mir, dass er in wenigen Stunden zu den 100 km von Wien antreten werde, ich beschimpfte ihn, was für ein Trottel er doch sei. Rückblickend muss ich gestehen, dass ich mich nicht beschweren hätte dürfen, wenn er mir die eine oder andere Ohrfeige verpasst hätte. Fünf Jahre und ein paar Wochen später sitze ich in einem Gartensessel und kann mich fast nicht bewegen. Hinter mir liegen 24 Stunden, in denen ich 160,64 km zurückgelegt habe, mit einer Pace von 8:55 min/km, hinter mir liegen aber vor allem Erfahrungen, die ich einerseits machen wollte und vor denen ich mich andererseits fürchtete.

*

„Schade, dass uns einige Leute ausfallen“, hatte Erwin Ostry Ende Juni einmal fallen lassen, „wir bräuchten noch den einen oder anderen für die Teamwertung der österreichischen Meisterschaft“, und blickte mich an. „Als Back-up kann ich’s mir schon vorstellen“, antwortete ich, „aber das wird mein erster Rundenlauf, erwarte dir nicht zuviel.“ So schnell konnte ich nicht schauen, so schnell war ich gemeldet. Das steirische Bad Blumau ist bekannt für die Thermen, ist ein aufgeräumter, sauberer Ort, besitzt eine Bahnhofsstraße (aber der Bahnhof liegt an der Blumauer Straße) und Sportbegeisterte, die in diesem Jahr zum zweiten Mal Ultra-Rundenläufe veranstalteten. Der 24-Stunden-Wettbewerb zählte als Österreichische Meisterschaft, vielleicht komme ich mit einer Mannschafts-Medaille zurück, sinnierte ich.

Doch das Ziel war fern, und fast beunruhigend bäumte sich der Start vor mir auf. Wie soll ich einen Tag auf einer 1181 m kurzen Runde mental überstehen? Einen Ultratrail filetiere ich in für den Kopf verdauliche Portionen: bis zur nächsten Labe, bis zum höchsten Punkt, bis zum Dropbag. Aber einen Rundenlauf habe ich noch nie gemacht. Was also tun? Ich entschied, die Zeit zu stückeln. Alle drei Stunden wollte ich das Lauftrikot wechseln.

10 bis 13 Uhr. Im Zeichen des ULT Heustadlwasser

Der Startschuss fällt um zehn Uhr, und ich trabe mit Erwin los. Kilometerzeiten um die sieben Minuten sind angedacht für die ersten Stunden, diese Vorgabe lässt sich gut erfüllen, auch wenn es immer heißer wird. Auf der Strecke ist einiges los, es sind auch noch Marathonläufer und –läuferinnen unterwegs, die ihre Übung bereits um 8 Uhr begonnen haben. Irgendwann ist Erwin dann weg, und ich ziehe allein meine Runden: vom Start rechts abbiegend in den Sportplatzweg, durch das große und durchgehend bestens ausgestattete Verpflegungszelt, dann nach rechts in die Bahnhofsstraße, über die Brücke, unter der die Safen fließt, wieder rechts in die Hauptstraße, vorbei u. a. am Hotel Thermenoase, dem Tourismusverband, dem „Platz der Visionäre“, ehe es beim Gästehaus Gradwohl rechts fallend „trailig“ 20, 30 m hinunter an die Safen geht. Wieder laufe ich über einen Steg auf die andere Bachseite, auf Schotter vorbei an den ULT-Verpflegungszelten Richtung Start.

Neben Erwin und mir sind auch Josef Stöger und Martin Kubele dabei, und unsere beiden ULT-Neuzugänge Heinz Schaludek und Andreas Michalitz. Die Runde ist zwar kurz, und man begegnet sich da und dort, doch eigentlich fehlt mir bald der Überblick, wer wo ist. Aber egal – jeder läuft sein eigenes Tempo.

13 bis 16 Uhr. Der weiße Äthiopier

Schon beim ersten Trikotwechsel merke ich, wie dieses kleine äußerliche Zeichen große Wirkung auf meinen Geist hat. Das Laufshirt habe ich 2018 in Äthiopien erstanden, in Bad Blumau beschäftige ich mich eine Stunde lang mit den Erlebnissen von damals. Die Zeit scheint zu verfliegen, achtsam bin ich, dass ich meine Ernährung nicht vernachlässige. Stündlich gibt es ein Gel, alle zwei, drei Stunden Cookies mit viel Schokolade und Erdnussbutter, köstlich zubereitet von meiner Frau, zuweilen eine Melonenschnitte, zwei Marsriegel. Soviel zum Essen während 24 Stunden, getrunken wird Wasser, Iso, Cola, und „gegen Ende“, also während der letzten zehn Stunden, drei halbe Becher alkoholfreies Bier und ein Red Bull (sugar free). Anderen geht es wetterbedingt und ernährungstechnisch leider nicht ganz so gut. Martin Kubele ist schon etwas lädiert angetreten. Erwin kann laufen und kotzen, aber nicht trinken. Die Temperaturen bewegen sich zwar nach unten, doch es hat immer noch weit über 20 Grad, und das weiß jeder: Wenn der Körper dehydriert, geht bald nicht mehr viel.

16 bis 19 Uhr. Stelviomarathon

Nach sechs Stunden merke auch ich die Hitze und laufe in ein erstes Tief. Zwar trage ich das Shirt vom „Stelvio“ (und werde von einigen auch darauf angesprochen), doch ich denke an den Großglockner Ultra Trail – und daran, was ich damals alles falsch gemacht habe. Nämlich: alles. Beim GGUT wollte ich unter 24 Stunden bleiben und von diesem Ziel auch nicht ablassen, als ich schon mehr tot als lebendig war. Als ich das nächste Mal am ULT-Zelt vorbeikomme, sage ich Martin Wustinger, unserem Betreuer: „Ich wollte zwar die 180 km angreifen, aber das lasse ich bei diesen Bedingungen bleiben. 160 sollten es aber schon werden.“ Er nickt: „Gute Entscheidung.“ „Kannst du mir einen Plan machen?“, frage ich. „Ja, mach ich. Aber jetzt schau einmal, dass weiterkommst.“ So laufe ich ein Tempo, das mir behagt, rechne ein wenig im Kopf hin und her, wie viele Kilometer es denn sein sollen, addiere Runde für Runde. Ein paar Laufkollegen kenne ich, Andy Kapui, Peter Rabong beispielsweise, doch die Gespräche sind meist kurz und bündig, jeder ist ganz bei sich. Monika Tavernaro von den „Lauffreunden“ feuert mich regelmäßig an, „lass dich nur nicht abwerben“, meint Erwin später.

Kurz bevor die dritten drei Stunden zuende gehen, „ballere“ (ha ha) ich zwei Kilometern in 6:20, 6:30 Minuten. „Lass das“, ermahnt mich Martin.

19 bis 22 Uhr. Zermatt Gornergrat Ultramarathon

Immer wieder ziehen Läuferinnen und Läufer an mir vorbei, mit einer Geschwindigkeit, die vermuten lässt, dass diese sich bei einem anderen Rennen befinden. Bei den Frauen stellt Karin Augustin mit 218,81 km einen neuen österreichischen Rekord auf. Sie erinnert mich mit ihren Tattoos und pinkem Dress an die amerikanische Ultralauf-Heldin Catra Corbett, und ganz ehrlich, bei der ersten Überrundung habe ich fast geglaubt, dass sie es sei.

Es wird Nacht und es wird kühler, Martin macht an der Verpflegungsstelle einen herausragenden Job. Was immer ich benötige und in der Runde zuvor kommuniziere liegt aufbereitet da. Wahrscheinlich habe ich es leichter als er, denke ich mir. Ich bewege mich, bekomme was anderes zu sehen, bin unter Leuten. Martins Handlungsspielraum ist auf, sagen wir: 100 Quadratmeter beschränkt. Und auch wenn der Vergleich hinkt: So wie F-1-Piloten Experten in den Boxen benötigen, freue ich mich darüber, einen erfahrenen Ultraläufer im Kommandostand zu haben.

22 bis 1 Uhr. Stelviomarathon, nochmals

In der ersten Hälfte des Rennens kein Idiot sein, und in der zweiten kein Weichei. Mit dieser Maxime bin ich in den Lauf gestartet, zur Halbzeit freue ich mich, 50 % bereits richtig gemacht zu haben. Es läuft nicht schlecht, mit den üblichen Ups and Downs, mit der „Trailstrecke“, die tiefschwarz in der Nacht liegt und die ich gehe und nicht laufe. „Das ist eine tolle Veranstaltung, danke für all eure Bemühungen“, sage ich später den Organisatoren, „doch die Ecke dort drüben müsst ihr das nächste Mal besser ausleuchten.“

Die Kilometerzeiten bleiben in der Nacht, also zwischen Stunde 11 (21 Uhr) bis 18 (4 Uhr) akzeptabel: dass es zu weiteren Einbrüchen kommt ist zu erwarten, denn wie heißt es so schön? „Wenn es dir bei einem Ultra gut geht – mach dir keine Sorgen. Das geht vorbei.“ Gilt umgekehrt allerdings auch.

Seit 22 Uhr sind auch die 12-Stunden-Läufer und –Läuferinnen auf der Strecke, Rainer Predl benötigt für die Runde fünf Minuten oder weniger und saust immer wieder an mir vorbei. Bevor er seine Tätigkeit aufgenommen hat, haben wir noch gescherzt: Er könnte ja meinen Pacer machen. Klar, dass die Sache einen Haken hat. Denn Predl läuft mit 151,23 Kilometern neuen österreichischen Rekord. Ich benötige für diese Strecke in etwa doppelt so lang. Chapeau, also!

So gegen halb zwölf erreiche ich die 100-km-Marke. Doch es ist ein Zwischenstand, der mich nicht interessiert.

1 bis 4 Uhr. Ötschermarathon

Ich scheine gut im Plan zu liegen, die 160 km zu erreichen, doch die Nacht zehrt auch an mir. Ehe ich falle, gehe ich, sage ich mir, nur nichts riskieren, und der Wettbewerb ist noch lang. Ich höre, wie es den anderen ergeht, dass auch Mitfavoriten auf den Sieg der Hitzeschlacht Stunden zuvor ihren Tribut zollen und ungeplante Pausen einlegen müssen. Immer wieder stürmen Staffelläufer oder 12-Stunden-Läufer oder Rainer Predl an mir vorbei. Ist mir egal, ich mache einfach nur mein Ding. Musik unterhält mich und peitscht mich nach voran, bei Bon Jovi, Pink, Sunrise Avenue, “Bella ciao”, “Fratelli d’Italia” gröhle ich mit.

“Du musst bis vier Uhr 125 Kilometer gemacht haben, dann geht es sich gut aus”, sagt Martin. Als ich zum nächsten Trikotwechsel komme, halte ich bei rund 1500 m Vorsprung auf diese Vorgabe.  

4 bis 7 Uhr. Early Bird

Beim FIS-Kongress 2018 in Griechenland bewarb sich Trondheim für die Nordische WM 2023 und organisierte jeden Morgen gegen 5 Uhr einen Trainingslauf. Daran muss ich denken, als ich mir “Early Bird” überstreife. Für einen Moment ist mir, als wäre ich auf dem Peloponnes, und als ob die Runde nicht durch die Ortschaft, sondern über einen Golfplatz führt. Nein, Halluzinationen machen sich keine breit bei mir, dafür bin ich zu sehr im Hier und Jetzt. Doch zuweilen, auch nach 20 Stunden noch, kommt mir vor, als würde ich nicht laufen, sondern schweben - so, als würde nicht ich mich vorwärts bewegen, sondern als würde sich die Straße unter mir im Kreis drehen.   

“Lauf einfach dein Tempo weiter”, sagt mir Martin, als er mir beim nächsten Zwischenstopp Cookies und Iso reicht. “Du hast genug Zeit, um sieben solltest du bei 140 km stehen.” Die Vorgabe erfülle ich, doch seit die Sonne aufgeht, wird es - erraten - wieder wärmer, sehr schnell sogar heiß.   

7 bis 10 Uhr. Im Namen des ULT Heustadlwasser

Es bleiben 17, 18 Kilometer zu absolvieren, um die 160 km zu erreichen. Die vorgegebene Zeit: knappe drei Stunden. Zehen am linken Fuß hat Martin getaped, rechts spüre ich auch schon die eine oder andere Blase, zuweilen balle ich mein Gesicht zu einer Faust. ... und in der zweiten Hälfte kein Weichei sein, denke ich mir dann.

Je näher das Ende kommt, umso nervöser werde ich. Geht sich das wirklich, wirklich aus? Heinz Schaludek und Andreas Michalits, zuerst der eine, dann der andere, laufen an mir vorbei und beide Stars fragen mich, ob ich die 160 km erreichen werde, dann würden wir auch in die Teamwertung kommen. Beide Male antworte ich überzeugt mit Ja, es macht mir keinen Druck - den mache ich mir selber genug -, es ist dennoch ein Commitment, das ich Klubkollegen gegenüber gerne abgebe.

Es fehlen 11 Kilometer, ich habe etwas über zwei Stunden Zeit, als mich Erwin fragt, ob er mich die letzten Runden begleiten soll. Ich könnte ihm um den Hals fallen, dankbar nehme ich dieses Angebot an. Es tut mir gut, einen an meiner Seite zu haben, der einen Blick auf die Uhr hat, der mich beruhigt und unterhält und mir zu verstehen gibt, dass alles gut werden wird.

12 Minuten 15 Sekunden vor Ablauf der 24-Stunden-Frist springt die elektronische Anzeige im Startbereich um und zeigt an: Egon Theiner, 160,64. Eine Runde ginge sich eventuell noch aus, doch auf diese kann ich verzichten. Ich habe mein persönliches Ziel erreicht, und ich habe abgeliefert, was das Team sich erwartet hat.

*

Vielleicht fehlt mir der Zieleinlauf, vielleicht fehlt mir die Sirene, die das Ende der 24 Stunden verkündet und bei dessen Klang alle Teilnehmer zwecks genauer Vermessung der gelaufenen Meter auf der letzten Runde dort stehen bleiben sollen, wo sich sich gerade befinden. Vielleicht ist die Sportanlage von Bad Blumau visuell unattraktiver als der Ausblick am Gornergrat oder vom Stilfserjoch - große emotionale Gefühle bleiben bei mir jedenfalls aus. Ich verspüre Zufriedenheit und Stolz, Dankbarkeit und Demut. Ich weiß, dass ich diese Leistung ohne Erwin (der auch organisatorisch im Vorfeld der Veranstaltung sehr viel gemacht hat) und Martin nicht erreicht hätte, ich weiß, wie viel Kraft mir jedes lobende Wort von Vereinskollegen, Mit-Läufern, Zuschauern gegeben hat. Ich denke an Gerhard Schiemer, er schreibt die Trainingspläne, er bringt mich in Bereiche, in die ich alleine nicht vordringen würde. Und ich denke an Andreas Rosenbichler, der in Bad Blumau auch dabei war, sein Ziel bei diesem Lauf leider nicht erreicht hat, für mich aber immer ein Vorbild und auch Mentor bleiben wird.

Here comes the Knock Out

Und jetzt sitze ich da im Gartensessel und überlege seit 20 Minuten, wie ich aus diesem wieder hochkomme.

Als ich mich auf meine wackligen Beine stelle, haut es mich fast um. “Leg dich sofort nieder”, befiehlt Martin Wustinger. Bei der Siegerehrung bin ich also nicht dabei. Es gibt Medaillen für Josef Stöger (Gold in der M70) und Andreas Michalits (Dritter in der Masters-Klasse), da hätte ich gerne auch applaudiert, im Team werden wir indes Vierte. Die drittplatzierte LG Wien liegt deutlich, über 50 Kilometer, vor uns. Schade, aber egal. 

Und was könnte es Besseres geben, als beim ersten bestrittenen Rundenlauf auf (Team-)Platz vier zu landen? Schreit das nicht irgendwie nach Revanche?

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